Der
folgende Text
ist eine Auswahl
komprimierter Reflex-
ionen und Entdeckungen,
eine fortlaufende Suche nach
zeitgenössischen architektonisch-
en Ideen und Lösungen. Die in ver-
schiedenen Maßstäben ein individu-
elles und gemeinschaftliches Leben poe-
tischer, vielschichtiger, tiefer, nachhaltiger
sowie ein wenig sinnhafter werden lassen.
Die Sammlung wird regelmäßig erweitert
und überarbeitet. Ohne den Anspruch auf
Vollständigkeit und im Bewusstsein der be-
grenzten Möglichkeiten, sich allein über die
Sprache den hier beschriebenen Phänomenen
zu nähern, bildet sie eine persönliche und
prozesshafte Annäherung an die Architektur
ab. In die Suche fließen Erfahrungen aus
der Bautätigkeit, dem Arbeiten an Publika-
tionen und Ausstellungen, einer Vielzahl
von Kollaborationen im Feld der Ar-
chitektur und Kunst in gleicher Weise
ein, wie Erkenntnisse aus Diskursen
in Vortragszyklen, Konferenzen,
sowie Forschung und Lehre.
Abgesehen davon, kommen
gute Gedanken oft auf
Reisen…



Baukultur:
Eine der
Suche überge-
ordnete Frage ist
die, wie wir auf einer
geistigen, körperlichen
und vielleicht auch auf
einer dazwischen liegenden
psychologischen Ebene mit
Architektur interagieren. Damit
verbunden ist die Suche nach architek-
tonischer Bedeutung und die Frage, für
welches Menschenbild wir entwerfen und bauen.



aInter
actio
(lat.: inter
= zwischen;
actio, -onis
= Handeln)
Mit dem
Begriff Interaktion
kann die wechselsei-
tige Beziehung zwi-
schen Mensch und Archi
tektur beschrieben werden.
Architektur ist nie nur passi-
ver Rahmen oder reiner Hinter-
grund genauso wenig wie die Be-
sucher oder Bewohnerinnen in ihr,
reine Rezipienten sind. Beobachtet
man dies genauer, fällt man zurück auf
die Dualität zwischen Geist und Körper,
die diese Beziehung grundsätzlich bedingt.
Sie bilden als anthropologische Konstanten
die elementare Basis unserer Arbeit. Durch die
Sensibilisierung dafür, wie Menschen auf Architektur
reagieren, mit ihr interagieren, kann Raum, Struktur,
Material und Form ganz bewusst gestaltet und
architektonische Ideen erfahrbar gemacht werden.



b1 Architektur
kann uns auf gewisse Weise
leiten, in eine Stimmung
versetzen, fundamentale
Assoziationen und
Reflexionen anstoßen.
Sie
kann befreiend wirken, so
wie entschleunigen, beruhigen
und sich als Hintergrund aus
der direkten bewussten
Wahrnehmung zurücknehmen.
Die
Begriffe, die mir hier am
besten gefallen, sind die
b2eröffnende (leitende)
und die
b3offeneArchitektur.
Man
könnte auch vom Besonderen
und dem Alltäglichen sprechen,
aber das trifft es nur zum Teil.
Architektonischer Anspruch
und die Qualität des Einfachen
finden sich In beiden Phänomenen.
b2Eröffnende Architektur benennt
für mich die suggestive Kraft
von materialisierten Räumen
und Formen, die den Prozess
für fundamentale Erfahrungen
undErkenntnisse eröffnen
und sie anstoßen können.



b2.1
Körperanalogie
Einen Aspekt
dieser
suggestiven
Kraft
von Architektur
beschreibt für
mich der Schweizer
Kunsthistoriker Heinrich
Wölfflin (1864).
Er verweist auf das
Einfühlungsvermögen
des Menschen als einen
grundlegenden
psychologischen Zugang zu
Architektur in Form einer
b2.1Körperanalogie hervor,
wenn er schreibt:
“Wir haben Lasten getragen
und erfahren,
was Druck und Gegendruck
ist, (…) darum wissen wir das stolze
Glück einer Säule zu schätzen.”
Wir begreifen unsere Umwelt
und setzen uns mit ihr
über unseren Körper in Beziehung,
erfahren sie intuitiv, assoziativ
und reflektieren sie in Relation
zu unserer eigenen Erfahrung,
mit all unseren Sinnen
und der menschlichen
Vorstellungskraft.



b2.2Tektonik Ein weiterer, ursprünglich aus der Archäologie entstammender,
architekturtheoretischer Begriff beschreibt ein verwandtes
Phänomen, die b2.2Tektonik. Neben der Definition als
“Poesie des Fügens” (Framton, 1993)
oder als „Kunst des Zusammenfügens
starrer, stabförmig gestalteter Teile
zu einem in sich unverrückbaren
System“ (Semper, 1860)
besteht eine zeitgenössische
Interpretation als
künstlerischer
Ausdruck der
Kräfteverläufe
eines Gebäudes.
Im Grunde
genommen
könnte
man
von
einer
Erfahrbarmachung
-sei es durch das Aufzeigen oder Hinterfragen-
der Gravitation mit architektonischen Mitteln sprechen.



b2.3Beziehung
Kommen wir zurück zur
Psychologie und zur Interaktion
mit der Architektur. Die Arbeiten von
René Magritte faszinieren mich und haben
mich zu einigen Gedanken verleitet, über
die sich die Kunsthistoriker gerne die Haare raufen
dürfen. In der Bilderreihe la clef des songes setzt
sich der Künstler vordergründig mit der Diskrepanz von
Bild und Sprache auseinander – diese Auseinandersetzung
mit der Wirklichkeit ist spannend, jedoch für die kommende
These nicht ausschlaggebend. Was mich unter anderem
am ersten Bild dieser Reihe von 1927 schon seit Studienzeiten
fasziniert, ist etwas anderes. Das symmetrisch in vier
Bereiche geteilte Bild zeigt eine Tasche, ein Taschenmesser,
das grüne Blatt einer Pflanze und einen Schwamm. Die
Motive scheinen willkürlich gewählt, ich selbst
aber, wenn ich vor diesen Bildern stehe,
komme nicht darum herum, sie in
b2.3Beziehung zu setzen.



Ich
suche eine
Logik, ein System.
Ich frage mich, was sie
alle eint, finde dessen Lösung
jedoch nicht. Die Bilder sind ein
wunderbares Beispiel dafür, was in der
Psychologie als Mustererkennung (Pattern
Recognition) bezeichnet wird. Also die kognitive
Fähigkeit des Menschen Ähnlichkeiten, Logiken
oder Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Dieses
Phänomen erlaubt es uns, die physische gebaute
Realität der Architektur ins Immaterielle zu
erweitern, man könnte sagen, über die
Interaktion zwischen Mensch und Werk
kann die Architektur geistig vollendet
werden. Im Kapitel c1architektonische
Elemente und Räume verfolge
ich diesen Gedanken
weiter.



Ich bin mir noch nicht sicher,
ob der Begriff b3Offene Architektur
als Antagonist zur eröffnenden Architektur
stimmig ist. Fassen soll er die robuste und zugleich
zurückhaltende Qualität von Gebäuden und Orten.
Anders als bei eröffnenden Szenarien fordert offene Architektur
keine implizite Interaktion oder konkret gestaltete Erfahrung.
Im Idealfall bildet sie einen Kontext für eine
entspannte Unbefangenheit und
selbstbezogene Neugierde.
Architekturen mit dieser
Qualität bieten
Räume als
b3.1Landschaften
an, die man sich in
verschiedensten Szenarien
aneignen kann.
Die b3.2Robuste Materialität
mancher Orte,zum Beispiel Freiflächen in
großzügigen Werkstätten und Industriehallen oder
auch Ateliers, haben einen Charme des Entspannten. Sie
bilden Räume der offenen Möglichkeiten. Dies liegt
nicht nur an ihrer räumlichen Struktur,
dem Platz, sondern auch an deren
Materialität. Es ist egal, wenn ein
Weinglas umfällt, Kinder rumtollen,
oder handwerklich
gearbeitet wird.
Die Stofflichkeit eines Gebäudes
hat einen Einfluss darauf, wie wir in ihm
agieren, sie bedingt unser Handeln. Wird
eine Architektur, ein Raum, ein Interieur oder
ein Objekt in einer seiner Funktion oder Multifunktionen,
nicht entsprechenden Materialität ausgeführt, entsteht eine
Qualität, die sonst Schmuck zu eigen ist. Ein gutes Beispiel hierfür
sind verchromte Stoßstangen bei Autos. Im selben Schritt verliert sie
schnell seine Qualität als Gebrauchsobjekt. Es ist ebenfalls interessant
den entgegengesetzten Gedankengang weiter zu verfolgen, denn
in einer dem vordergründigen Gebrauch eines Objektes
widersprechenden Stofflichkeit, also einer materiellen
Entfremdung, liegt die Qualität neue Interaktionen
anzustoßen. Womit wir wieder bei einem
Aspekt der b2eröffnenden Architektur
angekommen sind.